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Agile Culture

So funktioniert der kulturelle Unternehmenswandel

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Kelly Johnson, Chief Research Engineer beim Flugzeugbauer Lockheed, stand vor einem echten Problem: Seine Bosse hatten ihm einen schier unerfüllbaren Auftrag übertragen. Er sollte innerhalb von 180 Tagen ein neues Militärflugzeug entwickeln – ein damals wie heute utopisches Unterfangen. 1943 war das, der Auftrag war dringend, das Flugzeug wurde zur Verteidigung dringend benötigt. Um die Aufgabe zu lösen, wählte Johnson eine andere Herangehensweise als üblich: Er wählte 27 der besten Ingenieure und 105 Mechaniker aus unterschiedlichen Entwicklungsprojekten aus, ließ sie selbstorganisiert zusammenarbeiten und brachte sie zudem in Kontakt mit den künftigen Nutzern des Flugzeugs. Niemand arbeitete in seinem Büro, die ganze Mannschaft saß in einem großen Zirkuszelt zusammen. Diese drei Maßnahmen gelten seitdem als erstes Beispiel von agiler Arbeitsweise. Kurios: Seit 1943 hat sich so einiges in der Arbeitswelt weiterentwickelt, doch agile Arbeitsweisen haben sich in vielen Unternehmen bis heute nicht etabliert. Starre Strukturen, Hierarchien und Prozesse stehen einer agilen Kultur im Wege.

Dabei macht die Digitalisierung aller Lebensbereiche agile Prozesse heute notwendiger denn je und erhöht den Druck auf alle, die zögern, zaudern und die Möglichkeiten und Chancen zur Neuausrichtung verspielen. Wer sich hingegen mutig der Agilisierung stellt, steht vor allem vor der Herausforderung des kulturellen Wandels im eigenen Unternehmen. Das klingt ambitioniert, aber auch genauso erfolgversprechend, wenn Unternehmen den Weg zukunftsorientiert beschreiten.

Das Labyrinth von Homer Simpson

Der Slogan vom „Umparken im Kopf“ wird häufig bemüht, um den Change-Prozess unter den Change-Prozessen mit Leben zu füllen. Nehmen wir den Fokus auf den Shareholder Value samt Gewinnorientierung – in vielen Unternehmen verinnerlicht wie der tägliche Besuch von Homer Simpson in Moe‘s Taverne. Doch dieser Fokus führt zu kurzfristigem Denken, Suboptimierung und geringem Engagement. Homer-Style eben. Es wird Zeit, den Fokus auf Kundenbedürfnisse und nicht auf Gewinn auszurichten. Denn dauerhaft lassen sich Kunden nur durch kontinuierliche Wertschöpfung begeistern.

Doch am Beginn des Wandels steht vor allem das Eingeständnis, dass die bisherigen reduktionistischen Managementmodelle nicht mehr greifen.

Die Welt ist zu komplex, zu unvorhersehbar geworden. Wer sich in diesem Labyrinth zurechtfinden will, braucht nicht nur einen Wollfaden, sondern eine ganze Palette an Tools, um die Komplexität zu bewältigen – gepaart mit der Erkenntnis: Für den Erfolg muss ich die vorhandene Diversität in organisatorischen Strukturen auch zulassen.

Engagement vs. Effizienz

Viel zu häufig schallt noch das „Effizienz-Credo“ von der CEO-Kanzel, dabei gibt es inzwischen mit Resilienz und Anti-Fragilität effektivere Wege im erwähnten Labyrinth der Komplexität. Im Zentrum von agilen Organisationen steht weiterhin der Mensch. Dieser erhält im Team den nötigen Raum, um neue Möglichkeiten zu entdecken und effektiv auf Veränderungen zu reagieren. Dahinter leuchtet ein einfaches Ziel: Steigerung des Engagements. Intrinsisch motivierte Mitarbeiter, autonome Teams, starkes soziales Miteinander über Abteilungen und Units hinaus haben großen Einfluss auf die Fähigkeit zur Wertschöpfung und Innovation. Und zwar einen positiven. Gut strukturierte Teams sind das beste taktische Mittel, auch auf komplexen Spielfeldern den Ball ins Tor zu befördern.

Einfachheit und Transparenz

Der Musik-Streamingdienst Spotify trifft als prominentes Beispiel bekanntlich mit dem genannten Teamprinzip schon länger den richtigen Ton: Hier agieren die Teams innerhalb der Organisation wie kleine Start-ups. Um weiter die Musikmetapher erklingen zu lassen:

Das Zeitalter der Dirigenten, die ihr Orchester in starren Hierarchien geführt haben, ist vorüber.

Nicht mehr die erste Geige spielen Führungskräfte, die einen Hebel ziehen, um Mitarbeiter zu mehr Effizienz zu bewegen. In agilen Unternehmen organisieren sich Menschen um den gemeinsamen Zweck, knüpfen neue Verbindungen und Strukturen. Nicht nur für Networker ein Traum.

Rein praktisch bedeutet das allerdings auch, einen reibungslosen und transparenten Informationsfluss im Unternehmen zu etablieren. Radikale Transparenz statt Herrschafts- und Silo-Wissen. Das ermöglicht ein deutlicheres Bild des komplexen Systems einerseits und ermöglicht Flexibilität, Verbesserung sowie Veränderungsfähigkeit andererseits. Die Mitarbeiter können diese Informationen unvoreingenommen verwenden, konsumieren und teilen. Nebeneffekt: Das Sicherheitsgefühl in den Teams steigt.

Schon Hannibal Lecter gab in „Schweigen der Lämmer“ die Antwort, wie man komplexe Probleme löst. Nein, nicht durch die unorthodoxe Gestaltung des eigenen Speiseplans, sondern durch das Zauberwort: Simplifikation!

Dem Hunger nach Einfachheit steht in der Arbeitswelt allerdings ein fast schon barockes Gelage prozessualer Komplexität entgegen.

Agile Unternehmen sind sich deshalb der Unmöglichkeit bewusst, jedes Problem mit Richtlinien und Verfahren verdauen zu können. Einfachheit ist dementsprechend gefragt, die dem Mitarbeiter serviert werden muss - also simple Regeln für Entscheidungsfindung, Problemlösung und Erwartungsbildung. Nur so schmeckt das Menü aus dem Agil-Kochstudio dauerhaft.

Die heldenhafte Kraft des Scheiterns

Doch nicht nur auf der Mitarbeiter-Ebene gilt es, die Veränderungen anzunehmen und zu verinnerlichen. Auf Führungskräfte kommen gleich zwei entscheidende Punkt zu.

  1. Sie müssen sich zunächst das Schlimmste eingestehen: das eigene Scheitern. Denn alle Systeme und Prozesse können inzwischen selbst von der effektivsten Führungskraft gar nicht mehr bewältigt werden. Herkulesaufgaben sollten aber den antiken Helden überlassen werden und nicht heroischen Heldenfiguren in der Vorstandsetage – oder solchen, die sich im Unternehmen dafür halten.
  2. Führungskräfte in agilen Firmen verstehen sich selbst als Transformationsleiter, die ein besonderes Umfeld schaffen. Ein Umfeld für mehr Kundenbegeisterung, Reduzierung von Reibungsverlusten und die individuelle Entwicklung von Mitarbeitern, etwa durch Job-Rotation und Job-Enrichment.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich Kelly Johnson 1943 aller hier aufgeführten Punkte für Agile Culture bewusst war, als er sein Flugzeug konstruieren sollte. Fakt ist: Johnson hatte mit seinem damals revolutionären Kooperationsansatz Erfolg. Das sich selbstorganisierende Team herausragender Ingenieure und die Vermeidung von bürokratischen Störungen sorgten sogar dafür, dass das Flugzeug statt in den vorgegebenen 180 schon nach 143 Tagen fertiggestellt war. Es war die Lockheed P-80, das erste Militärflugzeug der USA mit einem Strahltriebwerk. Aus dem einst 132 Mitarbeiter starken agilen Team entstand „Lookheed Advanced Development Programs“. Die geheimnisumwitterte Abteilung mit dem Spitznamen „Skunk Works“ verantwortet bis heute eine reihe spektakulärer Entwicklungen der zivilen und militärischen Luftfahrt.