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Twitter-Kauf: Keine Furcht vor Über-Musk
Wir zur Lage der Kommunikation – alles tbd. Heute: Dirk Benninghoff über Elon Musks Twitter-Übernahme.
Elon Musk kauft Twitter – doch was hat er damit vor? Meinungsfreiheit bewahren oder in seinem Sinne definieren? Dass der Über-Unternehmer nach der Straße und dem Weltraum jetzt auch die öffentliche Meinung erobert, klingt bedrohlich, birgt aber Chancen. Viel kaputtmachen kann er nicht mehr.
Die Debatte darüber, ob Soziale Netzwerke für die Inhalte ihrer Nutzer:innen haften sollten, setzte ein, als Twitter und Facebook als Meinungsplattformen relevant wurden und die viel beklagte Spaltung der Gesellschaft sich im Internet als purer Hass offenbarte. Und mit der Haftungsfrage geht die Zensurdebatte einher. Wer in Regress für Inhalte genommen werden kann, sollte diese natürlich auch genau beobachten und notfalls einschreiten, wie Twitter dies im Fall von Donald Trump getan hat.
Bislang lässt die Section 230 im US-Gesetzbuch den Plattform-Betreiber:innen freie Hand. Was sie löschen und ob sie überhaupt etwas löschen, bleibt ihnen überlassen. Sie können für Inhalte nicht rechtlich belangt werden. Beide Parteien in den USA wollen das ändern. Vereinfacht gesagt: Den Demokraten greifen Facebook oder Twitter zu wenig ein; sie verbreiteten so Fake News und Hass im Netz. Den Republikanern greifen sie zu viel ein; sie pochen auf volle Meinungsfreiheit und wollen die Netzwerke an jeglicher Zensur wie der Sperre von Donald Trump hindern.
„Musk erinnert zusehends an den fiktiven Mega-Unternehmer Tony Stark, der als Iron Man im Marvel-Universum gegen Schurken kämpft, an Narzissmus und einem Gottkomplex leidet.“
Weshalb Musk Angst macht
In dieser Gemengelage tritt nun Elon Musk auf den Plan und gibt sich als Wächter, gar Retter der Meinungsfreiheit aus. Seine Übernahme von Twitter löst gleich durch mehrere Faktoren Unbehagen aus:
- Musk ist in seinen Tweets meist entweder großmäulig oder rätselhaft aufgetreten, oft am Rande der (Börsen-)Legalität wandernd. Es entstand häufig der Eindruck, dass der Milliardär die Plattform für seine persönliche Wohlstandsmehrung missbraucht, etwa wenn er sich kryptisch über Kryptowährungen äußerte.
- Zumindest in Deutschland wird es reflexhaft extrem kritisch gesehen, wenn der reichste Mensch der Welt eine global relevante Medienplattform erwirbt. Zumal dieser Mensch immer mehr zum Über-Unternehmer mutiert, der die Straße (Tesla), den Weltraum (SpaceX) und unser Portemonnaie (PayPal) erobert hat – und jetzt unsere Meinungen kapert. Musk erinnert zusehends an den fiktiven Mega-Unternehmer Tony Stark, der als Iron Man im Marvel-Universum gegen Schurken kämpft, an Narzissmus und einem Gottkomplex leidet. Mit dem Unterschied, dass er durch philanthropische Neigungen bislang nicht aufgefallen ist.
- Dass Musk Twitter von der Börse nimmt, wird schließlich von vielen als Beleg für eine wenig transparente, vielmehr undurchsichtige Zukunft der Plattform gesehen. Wobei Börse und freie Meinungsäußerung jetzt nicht unbedingt Geschwister sind bzw. das eine mit dem anderen wenig zu tun hat.
Das Beruhigende an Musk
Dabei könnte Twitter durch Musk einen Schub in die richtige Richtung bekommen. Darauf lässt zumindest seine Ankündigung schließen, den Algorithmus des Netzwerks offen zu legen. Expert:innen hoffen nun, dass das die Regulierung und eine Modifizierung der Section 230 erlauben könne. Die Regeln von Twitter würden transparent, wo sie bislang undurchsichtig waren. Das Gegenteil des Befürchteten könnte der Fall sein. Unternehmen, Öffentlichkeit und Wissenschaft, für die Weiterentwicklung von Twitter und Co bislang irrelevant, könnten die Plattform als Open-Source-Modell gemeinsam verbessern.
Das mag etwas naiv klingen, ist aber eine Ableitung aus Musks ersten Äußerungen, die ein optimistischer Mensch durchaus treffen kann. Wer es nicht so sieht, mag sich damit trösten, dass Twitter schon vor Musk kein Ort des gepflegten erkenntnisbringenden Diskurses mehr war, sich stattdessen Pöbel, Hass und Engstirnigkeit Bahn brachen. Schritte wie der gegen Trump hatten eher Symbolcharakter. Sie brachten dem Unternehmen PR, den Nutzer:innen aber keine bessere Diskussionskultur.
Musk hat solche PR nicht nötig. Beruhigend außerdem: Er ist nicht politisch, zumindest nicht erkennbar, lässt sich weder als Republikaner noch als Demokrat einordnen, ist unparteilich, wird sich nicht vereinnahmen lassen. So gab es auch von den Republikanern nicht nur positive Kommentare zu seinem Twitter-Deal. Dass sein größtes Baby Tesla keine Öffentlichkeitsarbeit betreibt, ja Medien geradezu an der Arbeit hindert, ist für Twitter im Übrigen weder gutes noch schlechtes Zeichen. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn Musk auf Twitter keine Öffentlichkeitsarbeit mehr betriebe und hier so wenig erreichbar wäre wie Tesla für die Presse. Leider sieht es noch nicht danach aus.
Über den Autor
Dirk Benninghoff ist nicht nur Chefredakteur bei fischerAppelt, sondern auch Podcast-Monster. Nach 20 Jahren im Mediengeschäft (u. a. BILD, Financial Times Deutschland und stern) entschloss er sich 2016, die Seiten zu wechseln. Unser @neuigkeitenchef hat das nie bereut.