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Seid albern!

Wir zur Lage der Kommunikation – alles tbd. Heute: Dirk Benninghoff über schlechte Laune und seinen Gegenvorschlag

Dirk Benninghoff

Dirk Benninghoff

Chefredakteur

Die Gesellschaft ist so schlecht gelaunt wie nie zuvor. Allerorten wird sich empört, gestritten, mit Haltung aufgeladen. Alles ist so schwer. Die gute Laune braucht dringend eine gute Agentur. Ein Plädoyer für mehr Banalität.

Montagabend, 22 Uhr. Nachdem am Wochenende wieder Tennisbälle flogen, geht der Streit um den Investoreneinstieg bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) in der ARD in die Verlängerung. Bei „Hart aber fair“ sollen sich mehrere Expert:innen über das Thema „streiten“ – besonders dicke Anführungsstriche, weil diverse Gäste komplett einer Meinung sind und dasselbe Lager repräsentieren (Fans). Bestand der Sinn von Talkshows nicht in der Kontroverse, in unterschiedlichen Positionen oder wenigstens Blickwinkeln? Flugs getwittert  (sorry, X!) und den Sinn einer solchen „Debatte“ bezweifelt. Und damit prompt im Rechtsausleger-Lager der Gegnerschaft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks gelandet. Was folgt sind unangenehmer Applaus, noch unangenehmere „Staatsfunk“-Häme und die Erkenntnis: Bei gewissen Themen wird jede Meinung vereinnahmt, und ist sie noch so differenziert. Ob ÖRR, Energiepolitik oder Nazis: Die Empörungsgesellschaft ist stets auf Standby für den nächsten „Trigger“.

Um Beispiele zu finden, muss man längst nicht mehr auf eine Woche oder gar einen Monat zurückblicken. Es reicht ein normaler Tag. So war das Populisten-Lager schon den ganzen Montag auf Zinne, weil Jan Böhmermann am Freitagabend – (immer noch) in einer Satire-Show – dazu aufgerufen hatte, „Nazis zu keulen“.  Das Rechtsportal NIUS um Hysterie-Großmeister Julian Reichelt kannte kaum ein anderes Thema, sammelte nicht nur Empörung ein, sondern gleich noch Strafanzeigen. Aber auch die Gegenseite dreht schnell hoch, wie die ZDF-Journalistin Andrea Maurer als Moderatorin von „Berlin Direkt“ erlebte  – es war auch noch ihre erste Sendung . Dass Maurer in ihrer – zugegeben etwas sehr steil kommentierenden – Moderation Robert Habeck und den deutschen Atomausstieg für die Wirtschafts-Malaise verantwortlich machte, brachte die Grünen in Rage. Altvordere wie Renate Künast forderten eine Richtigstellung, andere unterstellten gar „rechtes“ politisches „Framing“ – ein It-Wort , das derzeit inflationär verwendet wird.

Beef klickt gut

Dirk Benninghoff, Chefredakteur

Was noch schlimmer als Hass ist

Natürlich griffen die einschlägigen Newssites all das gierig auf – Beef klickt gut. Beschleunigt oder gar ermöglicht wird diese Eskalation der schlechten Laune ja angeblich von Social Media. Auf der anderen Seite sind die einschlägigen Kanäle oder vielmehr ihre halbwegs konstruktiv gestimmten User eindeutig die Opfer des Trends. Es sind weniger vereinzelte Hass Postings als die permanente Häme, das ewige Gemosere, der besserwisserische Spott, der vielleicht wirklich typisch deutsch ist, und der aufgeregte Schrei nach Konsequenzen, der digitale Medienkanäle heute ungenießbar macht. So war Twitter einst ein Ort überschäumendem Humors und feiner Ironie. Und der Grumpy Virus hat längst auch LinkedIn infiziert. Folgerichtig, dass die Stimmung allgemein im Keller  ist.

Der Frohsinn braucht eine Agentur

Dirk Benninghoff, Chefredakteur

Keine Frage: Der Frohsinn braucht dieser Tage eine Agentur, die ihm mal wieder zu mehr Sichtbarkeit verhilft. Er hat keine Lobby, produziert zu wenig Content, ihm fehlen die Themen, und er wird vom bösen Trio Klimakrise, Krieg, Nazis zermalmt. Was unbeschwert daher kommt, gilt in diesen wahnsinnig gewichtigen Tagen, in denen die Zukunft der Menschheit entschieden wird, schnell als irrelevant. Humor gibt’s heute nur noch, wenn er Haltung zeigt. Und dann gibt’s auch wieder Kritik – siehe Böhmermann. Das Banale hat keine Konjunktur mehr. Die Gesellschaft sollte dringend den Ratschlag von Anthony Hopkins  beherzigen: „Seid albern“. Es ist vielleicht das, was am meisten fehlt.

Über den Autor

Dirk Benninghoff ist nicht nur Chefredakteur bei fischerAppelt, sondern auch Podcast-Monster . Nach 20 Jahren im Mediengeschäft (u. a. BILD, Financial Times Deutschland und stern) entschloss er sich 2016, die Seiten zu wechseln. Unser @neuigkeitenchef  hat das nie bereut.