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Großes Potential für die Zukunft
Wird der Londoner SXSW-Ableger zum Fixpunkt für Europas Marketing-Industrie?
Die weltweit wichtigste Kreativ- und Tech-Konferenz SXSW hat erstmals den Sprung nach Europa gewagt – und ist in East London auf einem guten Nährboden gelandet. Benjamin Werner verantwortet die Vermarktungsstrategie der fischerAppelt-Gruppe und veranstaltet regelmäßig deutsch-europäische Netzwerktreffen wie das German Apartment – auch im Rahmen internationaler Tech- und Marketingkonferenzen wie der SXSW in Austin oder dem Web Summit in Lissabon. Für Horizont war er auf der Europa-Premiere der SXSW unterwegs, das erstmals Kreative, Marketer, Wissenschaftler, Tech-Enthusiasten und Markenverantwortliche im Londoner Stadtteil Shoreditch versammelte.
SXSW: Sprung nach London
Statt klassische Messehallen zu bespielen, fügte sich die SXSW London organisch ins subkulturell geprägte Shoreditch ein: Von Pop-up-Galerien in der Brick Lane über Conference-Talks in alten Fabrikhallen bis zu Konzerten in Clubs wie dem XOYO oder der Shoreditch Townhall – der Stadtteil wurde zur Bühne. Der Austin-typische Anspruch, die Zukunft bereits vorzudenken und in allen Facetten auszumalen, kam auf der London-Edition noch etwas kurz. Auf den Conference-Panels dominierten eher tagesaktuelle Themen und Trends von AI-Tools bis Community-Marketing. Und so war diese Erstausgabe eher eine europäische Standortbestimmung für technologische Transformation und gesellschaftlichen Wandel.
Schlange stehen für KI
Im Zentrum des Programms stand eine SXSW-typisch vielfältige Konferenz, meist dosiert in knackig kurze 25-30 Minuten Talks, die jedoch aufgrund dieser zeitlichen Begrenzung wenig thematische Deep Dives zuließen. Klares Top-Thema, wie sollte es anders sein, Künstliche Intelligenz. Bei gefühlt 50 Prozent der Panels hatte es das Kürzel AI in den Ankündigungstitel geschafft. Und damit regelmäßig für Warteschlangen vor den Venues gesorgt. Mit Queuing kennt man sich in England ja aber bekanntlich aus, und so gab es statt Frust über verpasste Panels bestes Warteschlangen-Networking unter den europäischen Teilnehmern. Auf den Panels wiederum dominierten beim Thema KI drei Themen: AI-Produkte, AI-Regulierung und die Chancen Europas, eigene AI-Plattformen im Wettbewerb mit den USA und China zu schaffen. Kurzum, die Fragen, die Marketers und Investoren im Hier und Jetzt lösen müssen, statt sich an visionären Zukunftsszenarien zu ergötzen.
Die Speaker: Genre-Mix mit politischer Reibung
Dementsprechend sorgten im Londoner Speaker Line-Up auch weniger die aus Texas gewohnten Wild-West-Visionäre für Gesprächsstoff, sondern die vermeintliche Nähe der Veranstaltung zur öffentlichen Politik. Panels mit den beiden ehemaligen britischen Premierministern Tony Blair und David Cameron, die beide zum Thema Healthcare und AI auftraten, so wie Teilnahme von Kate Goodland vom NATO Innovation Fund, im Rahmen des Zukunftstalks „The view from 2050“, sorgten bereits zum Festival-Start für verbale Proteste und Absagen einiger Music-Acts. Das zeigt auch: der SXSW typische, wenn nicht gar einmalige Genre-Mix des Festivals, ist für Europa noch gewöhnungsbedürftig. Denn eigentlich sind es doch genau diese Friktionen, die aus einer normalen Fach-Konferenz einen Möglichkeitsraum machen. Und genau dieser würde Europa gerade guttun.
„Milliarden nötig, um Dinge relevant zu machen“
Der Zugang zu Kapital für Startups, besonders in der Kreativwirtschaft, ist in Europa schließlich immer noch schwieriger als in den USA. Die SXSW London bietet nun erstmals eine Plattform, auf der kulturelles Kapital auf Finanzkapital treffen kann. Wie wichtig dieses Kapital ist, unterstrich Ed Sheran Produzent Jake Gosling im Abschlusstalk Community & Influence: „Bei allem Glauben an Communities & Creator, werden wir weitere Milliarden benötigen, um Dinge relevant zu machen, um Menschen zu erreichen.“ Der gentrifizierte Londoner Stadtteil Shoreditch bietet auf jeden Fall das perfekte Setting um zu zeigen, wie es geht: Große Brands verschmelzen hier ganz natürlich mit einem subkulturellen Setting wie wohl nirgends anders in Europa. Somit könnte die SXSW London langfristig ein neues europäisches Innovationsklima fördern – nicht als Copy-Paste der US-Konferenz, sondern als kuratierter Treffpunkt für einen eigenen europäischen Gründeranspruch.
Future of Marketing: Communities
Wie können Marken globale wie lokale Fangemeinden aufbauen? Die Antwort, die sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Brand-Sessions der SXSW zog, lautete: Community Marketing mit kulturellem Feingefühl. Luca Amos, Head of Social Media bei Disney, empfahl Marken, sich intensiv mit lokalen Strömungen und Trends auseinanderzusetzen. Jeff Dodds, CEO von Formula E, bezeichnete kulturelle Relevanz als Schlüsselfaktor für erfolgreiches Fan-Engagement. Zahlreiche Panels hoben zudem das Potenzial sogenannter Micro-Communities und Nischenzielgruppen hervor – als zukunftsweisende Arenen für Markenkommunikation. Entscheidend sei jedoch, dass sich Markenakteure der kulturellen Kontexte ihrer jeweiligen Communities bewusst sind. Fehlt es an dieser Sensibilität und der Fähigkeit, sich in vielschichtigen kulturellen Dynamiken sicher zu bewegen, so bleibt nachhaltiger Markenaufbau ein bloßes Wunschdenken.
SXSW London neuer Meeting Point?
Das „Mutterschiff“ SXSW in Austin, Texas, hatte insbesondere vor der Corona-Pandemie – und wieder verstärkt seit 2022 – die Kraft, Technologieanbieter, Start-ups, Agenturen und Markenentscheider über mehrere Tage hinweg in einem gemeinsamen Erlebnisraum zu vereinen. Nicht selten entstanden dort außergewöhnliche, langfristige Geschäftsbeziehungen. London besitzt das Potenzial, sich zu einem kreativen Fixpunkt im europäischen Eventkalender zu entwickeln – etwas, das beispielsweise eine OMR in dieser Form nicht leisten kann. Gleichzeitig droht Austin etwas an Strahlkraft zu verlieren: Das für die SXSW zentrale Convention Center wird abgerissen, und die transatlantische Reiselust schwindet angesichts politischer Entwicklungen zusehends.
In diesem Jahr war jedoch noch nicht erkennbar, dass eine wirklich große deutschsprachige Community dem Ruf nach London gefolgt wäre. Immerhin waren zahlreiche deutsche Medienhäuser und Marken vor Ort – darunter adidas, Volkswagen, Zalando, Mast-Jägermeister, Cosnova, Hugo Boss, DHL sowie der GWA (Verband der Kommunikationsagenturen Deutschlands). So entstand eine zwar kleine, aber lebendige deutsche „Bubble“, in der einhellig der Wunsch formuliert wurde: Diese Verbindung aus SXSW und London verdient künftig deutlich mehr Aufmerksamkeit und Beteiligung seitens deutscher Kommunikator:innen und Marketer.
Zuerst erschienen in Horizont am 10. Juni 2025