fischerAppelt tbd Über Menschen Medien und Maschinen Blog Franziska Wischmann

Blog

Unternehmenskultur: Wie viel Haltung muss sein?

Wir zur Lage der Kommunikation – alles tbd. Heute: Franziska Wischmann über gelebte Haltung.

Franziska Wischmann

Franziska Wischmann

Director Content Healthcare & Chemicals

Wo hört Diversity-Washing auf, wo beginnt echte Haltung? Wie können wir glaubwürdig eine Unternehmenskultur etablieren, die auf gegenseitigem Respekt und auf Akzeptanz beruht?

In letzter Zeit fällt auf, dass das Thema Haltung auch in Wirtschaftszweigen wie der Pharmabranche angekommen ist. Ein Blick auf LinkedIn zeigt, dass sich etwas zu ändern beginnt. Dort geht es nicht mehr nur um medizinischen Fortschritt und neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Inzwischen unterstützen viele in Deutschland ansässige Pharma-Konzerne ihre Mitarbeitenden, zu ihrer persönlichen Haltung Stellung zu beziehen. Sie engagieren sich für Bewegungen wie die PRIDE Alliance und ermutigen ihre Belegschaft, ihr persönliches Gesicht zu zeigen. Mitarbeitende werden zu Botschafter:innen. Sie spiegeln mit persönlichen Haltungsthemen über ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, über Karrierechancen als Frau und Mutter, über Religion und Inklusion die Offenheit und Authentizität ihres Unternehmens wider. Sie verkörpern den Stolz, gemeinsam an etwas wichtigem, großen Ganzen mitzuarbeiten. Sie sprechen darüber, was sie bewegt, wofür sie sich engagieren. Und sie zeigen auch, wie und wodurch sie sich in ihrem Arbeitsumfeld gut aufgehoben fühlen, der einen Großteil ihres Lebens bestimmt.

Vielfalt ist zukunftsfähig

Was sagt das über einen Konzern aus, der auf diese Weise wahrgenommen werden möchte? Welches Potenzial liegt in der Haltung eines Unternehmens, das so explizit Menschen willkommen heißt, die alles sein dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden? Die darauf vertrauen können, dass sie geschätzt und gefördert werden, gleichgültig woher sie kommen, womit sie geboren wurden, was sie denken und woran sie glauben? Ihre Stimmen werden gehört, weil ihre Botschaften einen wichtigen Beitrag für die Zukunft leisten. Vielfalt ist der Sound der Zeit. Studien haben längst bewiesen, dass es einen umfassend belegten Zusammenhang gibt zwischen einer vielfältigen Belegschaft, der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens und seinem ökonomischen Erfolg. Die Frage sollte deshalb nicht lauten: Wie viel Haltung darf sein, sondern wie viel Haltung muss sein? Sollten sich noch viel mehr Unternehmen hierzulande trauen, mehr Diversity, Equality und Inklusion zu fördern, statt auf die drei großen Corporate-Themen Umwelt, Gesundheit und Arbeitsbedingungen zu setzen?

Wer Veränderung will, muss ständig in Bewegung bleiben

Keine Frage, Diversität spielt eine immer größere Rolle – in allen Bereichen von Gesellschaft und Politik, in den Medien, in Unternehmen und in der Werbung. Ob die Gegenwart schon divers ist oder was wir dazu beitragen können, damit sie es noch mehr wird, das ist die Frage. Sicher, es hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten. Dazu gehört die Emanzipationsbewegung genauso wie die offizielle Anerkennung eines dritten Geschlechts oder die jüngsten Meilensteine auf gesellschaftspolitischer und kultureller Ebene. Auch ein Blick in die aktuelle Wirtschaftspolitik stimmt zuversichtlich. In einer Welt voller Nationalisten jeglicher Couleur sind die Spitzenpositionen inzwischen von Frauen aller Ethnien besetzt: von der nigerianischen Ökonomin Ngozi Okonjo-Iweala, die die WTO leitet, bis zur Ernennung von Kamala Harris als US-Vizepräsidentin und Deb Haaland als erste indigene Innenministerin. Auf allen Ebenen gibt es Vorbilder, die uns auffordern, darüber nachzudenken, wie viel wir schon bewegt haben. Aber auch, was für ein weiter Weg noch vor uns liegt, bis Heterogenität mit gegenseitigem Respekt und großer Akzeptanz ohne „unconcious bias“ zur gelebten Realität wird.

Wie Kampagnen dabei helfen könnten

Dabei ist die Macht der Marken und Unternehmen nicht zu unterschätzen, auch wenn diese auf den ersten Blick (vielleicht nur) mit polarisierender Werbung und Kommunikation Aufmerksamkeit und neue Zielgruppen erreichen wollen. Interessanterweise hat der Austausch mit einzelnen People of Colour (PoC) gezeigt, dass sie sich davon nur bedingt angesprochen fühlen. Dennoch vertreten Expert:innen aus dem Marketing die Meinung, dass ein verantwortungsbewusster Umgang mit Zukunftsthemen in der Werbung Menschen aufrütteln und Emotionen erzeugen könnte, die das Zeug haben, eine gesellschaftliche Veränderung herbeizuführen. Aber reicht das schon? Was braucht es, um einen nachhaltigen Paradigmenwechsel zu etablieren, der glaubwürdig ist und die Entwicklung nicht nur in die Breite, sondern auch in die Tiefe bringt? Wie ist das zu interpretieren, wenn Firmen auf Rassismus-Vorwürfe im Netz mit dem hektischen Löschen von Posts oder dem Umbenennen von Produkten reagieren? Wo hört Diversity-Washing auf, wo fängt Haltung an?

Ein Blick auf die Generation Z zeigt, dass die Zeiten für Haltung nie besser waren.

Franziska Wischmann, Director Content Healthcare & Chemicals

Haltung kommt von Verhalten

Ein Blick auf die Generation Z zeigt, dass die Zeiten für Haltung nie besser waren. Eine aktuelle Studie des Truth Central-ThinkTanks, an der rund 30.000 junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren in 26 Märkten weltweit teilnahmen, zeigt, welchen zentralen Stellenwert das Thema Diversity bei dieser Zielgruppe einnimmt. 62 Prozent der Befragten allein in Deutschland sind davon überzeugt, dass eine möglichst heterogene Gruppe von Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und mit andersartigem Denken das größte kreative Potenzial hat, um neue Ideen zu entwickeln. Dabei geht es nicht allein um Innovationsfähigkeit. Ein Anliegen der Gen Z ist dabei, Barrieren abzubauen und vor allem jene zu fördern, denen ein Zugang erschwert wird und die weniger Privilegien genießen. Und sie würden ihren Arbeitsplatz danach auswählen, ob und in welcher Form er bei diesen Themen mitgeht. Das spiegelt auch die Teengeist -Studie von fischerAppelt in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut Appinio  und W&V  unter 1.000 Jugendlichen wider. Für die befragten Teens zwischen 16 und 19 Jahren wäre Diskriminierung am Arbeitsplatz ein absolutes No-Go .

Welche Erkenntnisse Arbeitgeber:innen daraus ziehen könnten

  1. Diversität darf nicht als Aushängeschild dienen, um sich als Unternehmen für Konsument:innen oder Mitarbeitende attraktiver zu machen, wenn sie im Kern nicht gelebt wird. Es reicht nicht, nach außen ein positives, möglichst vielfältiges Bild zu zeichnen. Die Unternehmenskultur der Zukunft muss diese Authentizität, Glaubwürdigkeit und Offenheit auch in die Tiefe bringen.
  2. Im Recruiting und in Beförderungsprozessen sollten Unternehmen allen Menschen eine ehrlich gemeinte Chance geben, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben wie etwa Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen. Das hat Vorbildcharakter. Immer mehr junge Arbeitskräfte schauen darauf, ob sie ihre Werte in ihrem Arbeitsumfeld wiederfinden und ob sie sich mit ihrem:r Arbeitgeber:in identifizieren können. Und sie entscheiden sich auch als Konsument:innen für Produkte, deren Unternehmen genau diese Werte abbilden.
  3. Durch eine diverse Haltung entsteht Loyalität, ein Gefühl der Zugehörigkeit, gegenseitige Verantwortung und Respekt innerhalb des Unternehmens. Das schafft einen starken Zusammenhalt und ein solides Gefüge – insbesondere in Krisenzeiten.
  4. Unternehmen mit einer stark wahrnehmbaren Haltung nach innen und nach außen werden in Zukunft den Markt dominieren. Der Wandel hin zu mehr Vielfalt hat das größte Kreativpotenzial. Neugier, Offenheit für die Ideen anderer und Innovationsfreude – das ist der Dreiklang, der die größten Erfolgsaussichten birgt.

Über die Autorin

Franziska Wischmann ist Director Content Healthcare & Chemicals bei fischerAppelt. Durch 30 Jahre Erfahrung im Journalismus hat sie ein extrem gutes Gespür für Trends und Themen entwickelt. Gesundheit, Psychologie und Altersforschung waren dabei immer Schwerpunkte. 2012 in die Werbung gewechselt, liegt ihr Fokus inzwischen auch auf der Entwicklung und Umsetzung maßgeschneiderter inhaltlicher Content-Strategien. Mit dem Healthcare-Bereich verschmelzen berufliche und private Interessen an Wissenschaft und Forschung.